Grünflächenunterhaltung - wie jetzt?
Bei diesem staubtrockenen Begriffe aus dem Verwaltungswesen denkt man zunächst an gepflegte öffentliche Anlagen. Doch der Begriff lässt sich durchaus auch wörtlich übersetzen: Grün-Flächen-Unterhaltung. Und das habe ich getan.
Der Auslöser der Idee ist weit entfernt von einer Marketingaktion. Es war vielmehr die Reaktion auf den schweren Sturm Kyrill, der 2007 über Deutschland hinwegfegte und auch große Teile von Münsters Grüngürtel, der Promenade, lahmlegte. Die Promenade, Münsters Wohnzimmer, das Erholungsgebiet direkt vor der Haustür, die berühmte Fahrradautobahn und Garant für glückliche Stunden… Ausgerechnet dieser Ort, im wahrsten Sinne des Wortes am Boden liegend, hingestreckt, ein echtes Trauerspiel.
Doch das Wörtlichnehmen des Begriffes brachte die Lösung und besänftigte die aufgewühlten Gemüter: Münsteranerinnen und Münsteraner, unterhaltet eure Grünflächen!
Denn nicht nur Menschen und Tiere, auch Pflanzen reagieren auf Zuwendung. Einige kennen vielleicht die Doppel-LP „The secret live of plants” von Stevie Wonder. Auch der wusste damals schon, dass die Vegetation kein mechanisches Uhrwerk ist, welches ausschließlich nach biologisch-chemischen Prozessen abläuft. Klänge, wie wir heute alle wissen, steigern nachweislich das Wachstum. Dieses Wissen wird in der Zwischenzeit sogar im schwäbischen Weinbau erfolgreich eingesetzt.
Dass sich die Promenade in den Jahren danach wieder so gut erholen konnte, liegt allein an der Liebesbekundung der ca. 160 Chören und Solisten, der Banda-Musiker, Reggae- Soul-, Indie- und Popinterpreten, der Englischhörner und Irischharfen, der Senioren- und Klezmerorchester, Klarinettenensembles, westafrikanischen Trommlern und bayerischen Blasmusikern, die seit dieser Zeit ohne Honorar auftreten, inspiriert von den Worten William Shakespeares: „Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter, gebt mir volles Maß!” Daraus ist ein akustisches Happening erwachsen, auf dem auf jede Art von elektrischer Beschallung verzichtet wird.
Seit 2007 also schlendern nun an zwei Frühsommertagen Massen von glücklichen MünsteranerInnen über den Grüngürtel, der die Innenstadt auf 6 Kilometern Länge umschließt, um sich der von allen Seiten dargebotenen Musik hinzugeben, wohl wissend, dass sie eigentlich nur geduldet sind.
Denn tatsächlich ist die Grünflächenunterhaltung ja für die Bäume gedacht, für die Sträucher, die Gräser und Karnickel. Und nicht etwa für die Menschen. Die sind später dazu gekommen. Deshalb findet man dort auch weit und breit keine Bühnenaufbauten, keine Kabel, kein Bier, keine Currywurst, weder Werbebanderolen noch Flyer. Eine vollkommen antikonsumistische Veranstaltung. Und deshalb entsteht auch kein Abfall. Haben die Musiker und Besucher die Promenade nach drei Stunden verlassen, benötigt man in der Tat keine einzige Kehrmaschine. Denn da ist nichts. Es wirkt, als wäre nie irgendwas gewesen.
Nicht zuletzt auch deshalb haben die MünsteranerInnen die Grünflächenunterhaltung zu einer der populärsten Freilufthappenings der Großregion gemacht. Sie ist zu einem nicht mehr weg zu denkenden Teil Münsteraner Lebensart geworden, genau wie Weihnachten oder Ostern. MünsterMarketing wirbt damit auf der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin und selbst die Hotels vor Ort bieten passende Übernachtungspakete an. Müssen sie auch. Denn einige Gruppen kommen von weit her. Es gibt regelmäßig Auftritte von Musikern aus Holland, aus Frankreich, dem Ruhrgebiet, aus Polen – selbst ein australischer Liedermacher hat es 2018 auf die Promenade verschlagen. Einige Gruppen sind auf der Grünflächenunterhaltung zur Welt gekommen. Selbst Musiker des Panikorchesters traten regelmäßig auf (Steffi Stephan, Carola Kretschmer und Hannes Bauer). Und keiner hat bisher Gage verlangt. Wozu auch? Denn die Grünflächenunterhaltung macht alle glücklich, immer wieder – die Natur, die Musiker, die Besucher und die Müllabfuhr. Und die GEMA.
Thomas Nufer